Was ein Zuger Chriesi-Baum mit meinen politischen Werten zu tun hat

Die Gleichheit aller Menschen ist als Bekenntnis in vielen Verfassungen und in den Menschenrechten verankert. Auch in der Schweiz legen wir viel Wert auf Ausgleich – ob zwischen Regionen, Gemeinden oder Generationen. Doch Gleichheit ist ein schwieriger Begriff, zumal er mit dem Begriff der Gerechtigkeit zusammenhängt. Welche Form von Gleichheit und Ausgleich bewirkt ein gerechtes Miteinander? Diese Zusammenhänge lassen sich mit einer Visualisierung veranschaulichen. Anhand eines Zuger Chriesi-Baums möchte ich Ihnen meine Wertevorstellungen und die Konsequenzen solcher Grundsätze für die Politik darlegen.

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Bei der Chriesi-Ernte gilt: Wenn beim Pflücken jedem und jeder von uns eine gleich hohe Leiter zur Verfügung steht, garantiert das noch lange nicht eine gleich hohe Ernte für alle Pflückenden.
Absolute Gleichheit im Sinne einer absoluten Gleichbehandlung würde aber genau das bedeuten: Jede Person erhält gleich viel – also eine gleich hohe Leiter. (Im Englischen gibt es dafür den Begriff «equality».) Das ist als Rechtsprinzip für die Behandlung durch Behörden, Polizei und Gerichte wesentlich – wie wir etwa im Leitsatz «vor dem Gesetz sind alle gleich» festhalten. Dieses Prinzip beachtet aber nicht die bestehenden Unterschiede zwischen verschiedenen Personen. Eine starre Gleichbehandlung kann daher in anderen Bereichen dazu führen, dass die tatsächliche Chancengleichheit eben gerade nicht gefördert wird. Einem Menschen, der aufgrund seiner eingeschränkten Mobilität im Rollstuhl sitzt, bringt es nichts, die gleichen Rechte auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu haben wie alle anderen, wenn der Bus-Eingang über keine Rampe verfügt.

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Wo die Äste des Chriesi-Baums höher hängen, braucht es also eine längere Leiter, um die Kirschen zu erreichen. Um das Pflücken auf beiden Seiten und für alle möglich zu machen, braucht es Leitern in unterschiedlichen Längen.
Bei der Ausstattung der Mitglieder einer Gesellschaft mit Ressourcen sollte deshalb das Prinzip der Fairness (oder auf Englisch: «equity») im Vordergrund stehen. Im Unterschied zu Gleichheit beinhaltet Fairness das Mitdenken von individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen. So ist jemand im Rollstuhl oder mit einem Kinderwagen auf barrierefreie Mobilitätslösungen angewiesen. Wenn diese gewährleistet werden, dann entspricht das einer fairen Lösung. Fairness in einer Gesellschaft erreichen wir also durch Veränderungen auf institutioneller, struktureller und systemischer Ebene, die den bedürfnisorientierten Zugang zu Ressourcen möglich machen.

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In diesem Sinne lässt sich unter Gerechtigkeit (auf Englisch: «justice») das langfristige Sicherstellen von Fairness und das Überwinden individueller Benachteiligungen verstehen. Sie ist ein Idealtypus, an dem sich politisches Wirken grundsätzlich orientieren sollte. Um im Bild zu bleiben: Die langfristige Ernte für alle kann nur durch eine nachhaltige Pflege des Kirschbaums gesichert werden. Es geht nicht nur um Ausgabe-, sondern genauso um Entstehungsgerechtigkeit. Wer Sorge trägt und den Baum nicht überstrapaziert, hält ihn am Leben. In einem gleichmässigen Wuchs wird er saftige Früchte tragen, die schlussendlich alle mit den gleichen Mitteln erreichen. Erst dann könnten wir allmählich alle Erntenden mit gleich hohen Leitern ausstatten.

Gleichheit, Fairness und Gerechtigkeit – alle drei haben in der Politik ihre Daseinsberechtigung. Deshalb kommt es bei konkreten Massnahmen darauf an, sich ihre Auswirkungen differenziert anzuschauen. Zu berücksichtigen sind individuelle Bedürfnisse und bestehende Verhältnisse. Beim Abwägen helfen mir prinzipielle Erwägungen, wie sie die Chriesi-Baum-Bilder illustrieren. Denn gleiche Chancen für alle Stadtzugerinnen und Stadtzuger sind mir ein wichtiges Anliegen.

 

Illustrationen:
Die Abbildungen entstanden in Anlehnung an den US-amerikanischen Diskurs zu «equality», «equity» und «justice». Die oft genutzte Visualisierung der Thematik anhand eines Baumes wurde in meinem Auftrag von einer Zuger Illustratorin angepasst. Die Rechte darüber liegen vollumfänglich bei mir.