Gerne stelle ich Ihnen sieben Thesen vor und lade Sie dazu ein, mir Ihre eignen Ideen zum Thema mitzuteilen. Ihre Meinung interessiert mich!

1. Mehr Freiwilligenarbeit statt alles an den Staat delegieren
2. Seezugang für alle – und alle für den Seezugang
3. Eigenheim – nicht nur für Privilegierte
4. Ob mit oder ohne Kirchensteuern: zum Gemeinwohl beitragen!
5. Die Mädchen machen Matura – was ist mit den Buben?
6. Ob Öko-Heizung oder digitale Wirtschaft: der Umschwung braucht umsichtige Übergänge
7. Demokratie beinhaltet den Mut zur Vielfalt – und wahrt die Menschenwürde

Kurz und Knapp

1. Mehr Freiwilligenarbeit stärkt den Zusammenhalt und nimmt Druck vom Staat
Freiwilliges Engagement ist nicht nur eine Investition ins Gemeinwohl. Es ist oft auch eine Möglichkeit, wie man in der arbeitsfreien Zeit Freude und Befriedigung erleben kann. Man tut etwas Gutes und dann macht’s auch noch Spass! Gerade bei längerfristigen Engagements haben Vereine, die Feuerwehr, Initiativen und Organisationen oft Schwierigkeiten, genügend Freiwillige zu finden. Gesellschaftliche Verantwortung wird dann heute vermehrt über das Portemonnaie abgewickelt und soziale Betätigung wird oft von professionellen NGOs oder Kirchen übernommen. Und da verlangt man mittlerweile vermehrt wirtschaftliche Rentabilität oder staatlichen Zuschuss. Sowohl finanzielle Beiträge und die Leistungen von Organisationen sind unbestritten wertvoll. Dennoch frage ich mich: Wo ist der Sinn für aktive Karitas geblieben? Sicher, nicht jede und jeder kann es sich ermöglichen, ihre oder seine Zeit unentlöhnt zu investieren. Gut und besser Verdienende gibt es in Zug viele – für sie wäre es aus rein finanziellen Gründen nicht gänzlich unmöglich. Gute Voraussetzungen für breite Freiwilligenarbeit? Ich würde sagen: Ja. Wie macht man sie also wieder attraktiver? Da sollte die Politik etwa mit passenden Anreizsystemen oder der verstärkten Förderung des freiwilligen Engagements in jungen Jahren aktiv werden.

2. Seezugang für alle – und alle für den Seezugang
Den Einklang von Mensch und Natur rund um den Zugersee erleben können – das wünschen sich auch diejenigen Zugerinnen und Zuger, die nicht das unmittelbare Ufer bewohnen. Denn der freie Seezugang wird von vielen geschätzt (siehe auch mitwirken-zug.ch zum Brüggli). Und diejenigen, die das Seeufer ihr Zuhause nennen können, geniessen – zurecht – ihr Recht auf eigenen Grund und Boden. Wie lösen wir diesen Gegensatz resp. Zielkonflikt? Der abschnittweise selektive Zugang bietet in Zug schon seit Jahrzehnten Stoff zur Diskussion. Intensivieren wir sie nochmals. Lösungen für einen möglichst generellen Seezugang müssen wir nämlich in gemeinsamer Auseinandersetzung erarbeiten: Die Privatgrundbesitzenden genauso wie diejenigen, die sich den öffentlichen Zugang ersehnen, diejenigen, die davon absehen wollen, die Politik, die Raumplanung, der Naturschutz und alle, die zur Vereinigung der bestehenden Mehrfachklänge beitragen wollen, treffen sich auf dem diskursiven Parkett und erstellen zusammen eine Roadmap für den Uferweg.

3. Eigenheim – nicht nur für Privilegierte
Schon vor meiner Geburt wurde ein eidgenössisches Gesetz zur Förderung von Wohnbau und Eigentum geschaffen. In der Schweiz und erst recht in Zug bleibt der Traum vom Eigenheim für die Mehrheit aber nach wie vor genau das: ein Traum. Und für diejenigen, die ihn sich erfüllen, ist er oft risikoreich. Ein offenerer Eintritt in die eigenen vier Wände würde theoretisch eine Möglichkeit für preisgünstigeres Wohnen bieten. Gerade für interessierte Hauskäuferinnen und -käufer, für die eigentumswohnen waghalsig ist, sind die Zinsen hoch – eine Abwärtsspirale also.z Obwohl Art. 47 Abs. 1 vom WEG besagt: „Der Bund kann den Erwerb von Wohnungs- und Hauseigentum für den eigenen Bedarf natürlicher Personen fördern, die mangels ausreichendem eigenem Vermögen oder ungenügendem Erwerbseinkommen nicht in der Lage sind, das hierfür nötige Eigenkapital zur Verfügung zu stellen.“ Dabei können wir auch zu unseren europäischen Freunden schauen: Sozialdarlehen oder Ausfallversicherung wie in Frankreich oder den Niederlanden könnten auch hier eine Nackenstütze bieten. Damit der Traum nicht zum Albtraum wird.

4. Ob mit oder ohne Kirchensteuern: zum Gemeinwohl beitragen!
Immer mehr Leute treten aus der Kirche aus, auch in Zug. Das zeigt bei den Steuererklärungen der Anstieg an Konfessionslosen. Der Verzicht auf die Kirchensteuer mag teilweise ökonomisch motiviert sein. Wenn man und frau auch inhaltlich nichts mit den Dienstleistungen der Kirche anfangen kann, dann gibt‘s da Potenzial zum Sparen. Was sich aber viele nicht bewusst sind: Dieses Geld fliesst nicht ausschliesslich in kirchliche Zeremonien wie Taufen, Heiraten oder Beerdigungen, sondern auch ins Gemeinwohl. Etwa in die Pfadi, die Erwachsenenbildung oder die Integration. Leistungen für diese essenziellen Bereiche unserer Gemeinschaft bleiben dann auch aus. Der Erhalt dieser Strukturen ist aber wichtig. Wie sollen sie also in Zukunft finanziert werden, wenn immer weniger bereit sind, die Kirchensteuern zu bezahlen? Während ich die zur Diskussion stehende Mandatssteuer für ungeeignet halte, schlage ich einen Gemeinsinns-Fonds vor. Beissen wir in den eigentlich mehr süssen als sauren Apfel und finanzieren wir gemeinsam das Wohl der Gemeinschaft.

5. Die Mädchen machen Matura – was ist mit den Buben?
Die Gymiquote steht (auch) in Zug unter Beschuss: Gemässigt soll sie werden. Was ich hinsichtlich Quoten in der (Aus-)Bildung aber eher zur Diskussion stellen möchte, sind die Männer und die Maturität. Die Jungs drohen nämlich zurückzufallen, der starke Anstieg der Maturitätsquote der letzten Jahrzehnte ist nicht nur dem Aufholen des (gesellschaftlich bedingten) weiblichen Bildungsrückstands geschuldet, sondern es handelt sich mittlerweile um ein Überholen. Maturität wird immer mehr Frauensache. Aus Perspektive der Geschlechtergleichstellung ist das problematisch zu werten. Wir täten gut daran, sowohl das Gymi als auch die Berufs- und Fachmatura für beide (bzw. alle) Geschlechter attraktiv zu machen.

6. Ob Öko-Heizung oder digitale Wirtschaft: der Umschwung braucht umsichtige Übergänge
Die globalisierte, digitalisierte und technisierte Welt zeichnet sich aus durch Geschwindigkeit. Die Langsamkeit unseres helvetischen Politiksystems stösst damit zuweilen an seine Grenzen. Ungeduldig drängen Journalismus, Social Media, die Öffentlichkeit per se, politisch Tätige, aber auch globale Krisen zum Handeln. Ich stimme zu: Vieles muss dringend angegangen werden. Die Umsetzung braucht aber Zeit, um überstürzte Handlungen mit Boomerang-Effekten zu verhindern. Der Fall Sri Lanka hat uns das gezeigt, als von heute auf Morgen die Umstellung auf vollständigen Bio-Landbau beschlossen wurde. Es trug zu einer veritablen Wirtschaftskrise bei. Fehlender Übergang heisst Untergang. Wärme-Luft-Pumpen statt fossiler Heizungen, heimische Solarenergie statt Öl- und Gasimporte, Biolandbau statt Pestizideinsatz – Schritt für Schritt, mit Sach- und Sozialkompetenz, Rücksicht und Umsicht müssen wir die Lösungen umsetzen.

7. Demokratie beinhaltet den Mut zur Vielfalt – und wahrt die Menschenwürde
In einer Demokratie steht das Volk im Mittelpunkt. Und weil „das“ Volk – mindestens in einer offenen und freien Gesellschaft – per se vielfältig ist, ist Vielfalt auch das prägende Element des demokratischen Systems. Verschiedene Menschen und vielfältige Meinungen sind das Herzstück der Demokratie. Sowohl der schweizerische Hang zum „Einmitten“ wie auch der gegenwärtige Trend, der die eigene Meinung und Identität verabsolutiert, bringen hier allerdings Gegenwind. Ich bin überzeugt: Eine lebendige Demokratie verträgt auch radikale Meinungen. Die Grenze der Meinungs(äusserungs)freiheit ist allerdings da, wo die Freiheit und die Menschenwürde des und der Anderen tangiert sind. Wir brauchen offene, aber faktenbasierte und mit Grundrespekt geführte Debatten. Das macht uns resilienter und es stärkt unsere Demokratie.

Hier noch etwas detaillierter

1. Mehr Freiwilligenarbeit stärkt den Zusammenhalt und nimmt Druck vom Staat
Freiwilliges Engagement zeugt von Solidarität und Nächstenliebe, von Überzeugung und Verbesserungsdrang. Freiwilligenarbeit ist deshalb ein Grundpfeiler des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Nur: Nicht alle können es sich finanziell leisten, ihre Zeit ohne Entlöhnung ins Gemeinwohl zu investieren. Zum Beispiel, wenn sich jemand finanziell nach der Decke strecken muss und einen belastenden Vollzeit-Job hat. Oder jemand übernimmt sehr viel familiäre Betreuungsarbeit. Andere Einschränkungen zeigen sich zum Beispiel auch durch die mangelnde Vereinbarkeit vom Engagement mit dem Beruf. Beispielsweise hat die Freiwillige Feuerwehr Zug Mühe, Feuerwehrleute zu finden, die bei einem Alarm innert nützlicher Frist überhaupt vor Ort sein können (etwa aufgrund von auswärtigem Arbeiten).

Gleichzeitig gibt es viele, die über ein gutes Einkommen verfügen und ausgewogene und flexible Arbeitsbedingungen haben. Und hier könnte auch längerfristig orientierte formelle Freiwilligenarbeit (unbezahlte Tätigkeiten für eine Organisation, einen Verein oder eine öffentliche Institution) doch eigentlich – und vermehrt – drin liegen. Im Durchschnitt liegt der Lohn bei einem Vollzeitjob in der Schweiz zwischen 5000 und 6000 Franken (BFS 2022). Im Kanton Zug liegt das durchschnittliche Einkommen mit 6‘805 Franken höher, das BIP pro Kopf lag 2018 beinahe beim Doppelten des Schweizer Durchschnitts und Personen mit einem sehr hohen Erwerbseinkommen sind in Zug übervertreten (4,4% im Gegensatz zum Schweizer Durchschnitt von 1,5% im Jahr 2018; Zuger Kantonalbank Oktober 2021, Fachstelle Statistik Kanton Zug). Grundsätzlich sind das also gute Voraussetzungen für ein Tätigsein, das zwar das Portemonnaie nicht dicker macht, aber dennoch sinnvoll, ja sinnstiftend sein kann. Freiwilligenarbeit kann einen Ausgleich zum steten Arbeitsalltag bieten und man täte noch dazu etwas Gutes – Erholung kann auch so aussehen. Schliesslich geben mehr als zwei Drittel der Menschen, die freiwillig in Organisationen, Vereinen und öffentlichen Institutionen tätig sind, an, dass der Spass an der Sache das wichtigste Motiv für ihr Engagement sei; es geht also primär um die Pflege des eigenen Wohls und – als zweithäufigstes Motiv – darum, mit Gleichgesinnten zusammenzukommen. Knapp zwei Fünftel (39%) aller in der Schweiz lebenden Personen über 15 Jahre leisten heute Freiwilligenarbeit (Jahr: 2020; Freiwilligen-Monitor Schweiz 2020). Das ist nicht wenig, aber es gibt noch Luft nach oben – insbesondere, wenn man auch persönlich davon profitieren kann. Während der Corona-Zeit haben manche spontan für ältere Nachbarinnen und Nachbarn eingekauft und auch im Ukrainekrieg zeigte sich viel Solidarität. So etwas lässt sich doch auch längerfristig machen. Aktuell könnte man beispielsweise junge Geflüchtete beim Lernen begleiten, älteren Menschen Zeit schenken, für den Mittagstisch kochen, neu Angekommene bei der Wohnungssuche unterstützen, das Kinderturnen leiten, Pferde pflegen und vieles, vieles mehr (Benevol Zug aktuell). Die Möglichkeiten sind vielfältig, die Interessen individuell – genauso auch die Gestaltung des Zeitbudgets.

Doch viele soziale Tätigkeiten werden heute von Organisationen wie Vereinen oder Kirchen übernommen. Dort arbeiten – verständlicherweise – oft viele Professionelle für Lohn. Und der Staat subventioniert diese Tätigkeiten nicht selten substanziell. Der ursprüngliche Gedanke der NGO, nämlich zivilgesellschaftlich und von der Regierung unabhängig zu sein, verliert sich dadurch zunehmend. Was in vielen Organisationen mit freiwilligem Engagement und der Hoffnung beginnt, die Welt ein Stückchen besser zu machen, muss später wirtschaftlich funktionieren oder vom Staat über Subventionen und Dienstleistungsverträge aufrechterhalten werden. Dadurch delegiert die Gesellschaft einen Teil der eigenen zwischenmenschlichen Beziehungspflege und Verantwortung. Das betrifft den Sozialbereich genauso wie Sport, Kultur oder Umwelt. Geht uns da nicht etwas verloren? Mir gibt das jedenfalls zu denken.

Ich selber bin als Teenager zum WWF gekommen – und seither hat mich dieses Tätigsein fürs Gemeinwohl nicht mehr losgelassen. Die Begeisterung für die Freiwilligenarbeit entwickelt sich oft in jungen Jahren – lassen wir unsere Kinder also die Freude daran finden. Und bleiben wir – je nach Möglichkeit – auch im Erwachsenenalter dabei. Viele erledigen das heute übers Portemonnaie, mit Spenden an NGOs. Das ist zwar gut gemeint und wichtig, vor allem, wenn sich dieses finanzielle Engagement gegen entfernte Problemlagen richtet. Aber wenn es um unseren sozialen und ökologischen Nahraum geht, sehe ich die Gefahr einer gewissen „Entfremdung“, des Verlusts an Unmittelbarkeit, des Taubwerdens für das Gefühl, was es heisst, am „sozialen Kitt“ selber mitzumauern. Und das Portemonnaie wird durch erhöhte Steuergelder belastet, wenn der Staat die Leistungen übernimmt – direkt oder indirekt über Subventionen für soziale Dienste.
Im Kanton Zug kommt ausserdem ein nicht geringer Teil der Steuergelder aus Firmengewinnen, unter anderem aus Profiten aus globalen Geschäften. Nicht selten führen solche Gewinne zu Diskussionen. Und nicht selten wäre es besser, ein grösserer Teil verbliebe in den Ländern, wo sie erwirtschaftet wurden. Deshalb ist die Frage der Steuersubventionen eine ambivalente Sache. Vor allem dann, wenn diese Steuergelder guten Zwecken zugutekommen sollen.

Es geht mir nicht um einen „schlanken“ Staat. Schliesslich widerspiegelt der Staat in der Demokratie die Gesellschaft. Also hat eine starke Gesellschaft mit einer starken Wirtschaft naturgemäss einen starken Staat. Sonst passt das nicht zusammen. Aber ein Staat macht sich dann schwach, wenn er zu sehr davon abhängt, dass ihm die Steuergelder der grossen Firmen zufliessen, damit er diese dann in diejenigen Leistungen stecken kann, die von der Gesellschaft selber auch übernommen werden könnten – ohne soziale Abstriche, sondern mit gemeinschaftlichem Zugewinn.

Deshalb sollte Freiwilligenarbeit politisch gefördert werden, Anreizsysteme wären dabei eine Möglichkeit. Es geht mir nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander und ein Nebeneinander von verberuflichten sozialen Dienstleistungen und von Freiwilligenarbeit. Von der Trias Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – mit bezahlter und freiwilliger Arbeit. Diese Bereiche sollten alle ihre Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl wahrnehmen. Mein Plädoyer lautet: Die persönliche Sorge um das Miteinander, um Menschen und die Natur ist genauso wichtig wie die berufsmässige. Und auch Freiwilligenarbeit kann „professionell“ sein, in dem Sinn, dass die Beteiligten Herzblut, Sachverstand und Kompetenz in sie stecken.
Wie denken Sie über Freiwilligenarbeit? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? Ihre Meinung hierzu interessiert mich – genauso wie zu den anderen Thesen.

2. Seezugang für alle – und alle für den Seezugang
Der Zugersee ist ein öffentliches Gut und ein wertvolles Naherholungsgebiet in der Region Zug. Wie gut das Spazieren an den Promenaden tut, das haben wir spätestens dann gemerkt, als es fehlte: Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, wie bedeutend die Stunden am See sind, wie sehr er uns ein Stück Erholung bieten kann. Er bietet zudem Raum für soziale Begegnungen. Und im diesjährigen Hitzesommer haben wir noch mehr als sonst Abkühlung und Erfrischung im Wasser gesucht. Ein demokratischer Zugang zum Entspannungsort See ist deshalb wichtig. Entgegen allfälligen Störungen für den See als Lebensraum für Tier und Pflanzen kann das Treiben in und am See gleichwohl für den Einklang von Mensch und Natur zuträglich sein: Die Nähe zum kostbaren Ökosystem kann uns für einen respektvollen Umgang mit Natur und Artenschutz sensibilisieren, denn „was man kennt und liebt, schützt man“. Der umfassende Zugang zum Zugersee wird meiner Einsicht nach durch zwei Zielkonflikte eingeschränkt: durch denjenigen mit Privateigentümerinnen und -eigentümern (privates Interesse) und natürlich durch denjenigen hinsichtlich des Naturschutzes (öffentliches Interesse). Auf Lösungen für die scheinbar entgegengesetzten Bestrebungen von Allgemeinheit, grundbesitzenden Privatpersonen und Umwelt drängt die SP Zug seit über 40 Jahren. Auch Art. 3 des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes sieht vor, dass der öffentliche Zugang zu See- und Flussufern befördert werden soll. Auf Grundlage des Zuger Bedürfnisses nach Freizeitvertreib in unmittelbarer Seenähe spricht sich auch das Zuger Verwaltungsgericht etwa im Urteil V 2019 118 vom 2. Dezember 2020 für die breitere Möglichkeit der öffentlichen Nutzung des Zuger Seeufers aus. Doch leider harzt es bei der Umsetzung dieser Grundsätze – und weite Teile des Ufers, die sich in Privatbesitz befinden, sind bis heute noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich (SP Zug am 3. Oktober 2020). Weil der See aber eben kein privates, sondern ein allgemeines Gut ist und wesentlich zum Wohlbefinden und zur Identität der Zuger Bevölkerung beiträgt, scheint mir eine Weiterentwicklung sinnvoll. Diese drängt sich auch auf, weil die Bevölkerung wächst und allfällige Nutzungskonflikte in Freizeiträumen – analog dazu etwa im Wald – konkret geklärt werden sollten. Dabei zeigen die bisherigen Stolpersteine und Widerstände, dass die Öffnung unbedingt mit den Anwohnerinnen und Anwohnern des Zugersees erarbeitet und abgesprochen werden sollte. Handeln über den Kopf der Grundeigentümerinnen und Mieter hinweg ist nicht zielführend. Denn auch sie leisten oft einen wesentlichen Beitrag zur Pflege des Seeufers – und könnten entsprechend eine passive oder aktive Vermittlungsrolle spielen. Im Fall des Zürcher Seeuferwegs hatte das Bundesgericht in Urteil 1C_157/2014 vom 4. November 2015 entschieden, dass Enteignungen zulässig seien, wenn der Zugang auf anderem Weg nicht zustande kommt. Dieser Präzedenzentscheid könnte, wenn es hart auf hart kommt, auch auf Zug angewendet werden. Das gilt es aus meiner Sicht aber zu vermeiden. Kreative Lösungen, die den Wunsch der breiten Bevölkerung nach See und das Recht der Anwohnerinnen und Anwohner auf Eigentum möglichst vereinen können, sind also gefragt. Wir müssen diese Diskussion intensiver führen als bisher, auch wenn sie unbequem sein kann. Dafür sollten verschiedene Akteurinnen und Akteure, naturschützende Instanzen, am Seezugang Interessierte, Privateigentümerinnen und Privateigentümer zusammenkommen und gemeinsam eine Roadmap für den Seeuferweg erarbeiten.

Hätten Sie Anregungen oder Ideen, wie die augenscheinlich gegensätzlichen Bedürfnisse verbunden werden könnten? Oder haben Sie andere Visionen für den Seezugang? Über Ihren Input freue ich mich!

3. Eigenheim – nicht nur für Privilegierte
Das Wohnen im trauten Eigenheim – in Zug und überhaupt in der Schweiz ist das nur für eine Minderheit die Realität. In ihren „eigenen vier Wänden“ leben im Jahr 2020 im schweizerischen Mittel nämlich nur 36,2% aller Privatpersonen (Haus- oder Stockwerkeigentum, wobei letzteres klar überwiegt; BFS 2022). Im Kanton Zug bewohnten im selben Jahr gerade einmal 32,1% der Einwohnerinnen und Einwohner ihre eigenen Räumlichkeiten (BFS 2022). Wie gering diese Quote tatsächlich ist, zeigt erst recht der Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn: 2014 wohnten in der EU durchschnittlich ca. 70% der Personen in einem Eigenheim. Unser nördlicher Anrainer weist dabei die geringste Quote auf; mit 52% kommen dennoch etwas mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft Deutschlands in Wohneigentum unter (Eurostat Pressemitteilung vom 23. November 2015). Natürlich ist damit noch keine Aussage über die Wohnverhältnisse gemacht. Dennoch bieten andere Länder offenbar mehr Möglichkeiten für den Besitz einer Immobilie – und damit allenfalls mehr Möglichkeiten für günstigeres Wohnen.

Gesamtschweizerisch steigt die Wohneigentumsquote seit mehreren Jahrzehnten, obwohl sich die Preise für das eigene Haus und die Eigentumswohnung seit 2000 stark erhöht haben. Im Kanton Zug sieht das anders aus: Hier nimmt die Quote ab, vor zehn Jahren lag sie noch bei knapp 36% (BFS 2022). Der Kanton gehört halt auch zu den Regionen mit dem grössten Preisanstieg (Luzerner Zeitung vom 2. Februar 2022). Und politisch schauen wir dem reglos zu. Immerhin konnte man jahrelang von tiefen Hypothekarzinsen profitieren. Damit galt: kaufen ist – mittel- und langfristig – günstiger als mieten. Nicht nur für unterdurchschnittlich verdienende Personen ist die monatliche Miete nämlich eine grosse Belastung, sondern auch wer über ein mittleres Einkommen verfügt, investiert rund 25% des monatlichen Haushaltsbudgets in die Miete (BFS/BWO 2022). In dieser Hinsicht hätte Haus- oder Wohneigentum das Potenzial zur Entlastung (wobei ich mich – gerade für Personen mit einem niedrigen Einkommen für die Wohneigentum ausserhalb des Möglichen liegt – weiterhin vehement für günstige Mietwohnungen und die faire Verteilung dieser einsetze).

Erst in allerjüngster Zeit ist das Verhältnis von Kaufen versus Mieten infolge steigender Hypothekarzinsen wieder etwas weniger „günstig“ geworden (NZZ vom 03. Mai 2022). Doch auch schon zuvor lag der Hund beim Hypothekenwesen begraben. Banken und Finanzierungsinstitute gehen in dieser Hinsicht nach dem Matthäusprinzip vor: Wer hat, dem wird gegeben. Um eine Hypothek aufzunehmen, muss man beim Haus- bzw. Wohnungskauf 20% Eigenkapital mitbringen. Das ergibt meist eine Summe, die vielen bis in die mittlere Einkommensschicht nicht zur Verfügung steht. Eine Hypothek kann also nur aufnehmen, wer schon relativ wohlhabend ist. Auch ob danach das Eigenheim tragbar ist, ist fraglich. Denn nicht mehr als 33% des monatlichen Haushaltsbudgets sollten für die Immobilie verbraucht werden. Bei jenen Hauskäuferinnen und -käufern, bei denen das Rückzahlungsrisiko gering ist – also bei den besser Betuchten – sind in der Regel auch die Bankzinsen niedriger. Was aus einer reinen wirtschaftlichen Risikoüberlegung seitens der Finanzinstitute Sinn macht, ist hinsichtlich Altersvorsorge und Wohlstandsverteilung nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn es führt dazu, dass potenzielle Käuferinnen und Käufer mit kleinerem Portemonnaie proportional mehr zahlen. Zu hohe Kreditrisiken mit zu hohen Hypozinsen, die Investoren als spekulative Anlagen dienten, haben in den späten 2000ern eine schwere Immobilienkrise ausgelöst. In der Folge standen Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer in den USA oder auch in Spanien auf der Strasse. Diese Erfahrung zeigt, dass eine Eigentumsförderung so zu bewerkstelligen ist, dass auch für Nicht-Reiche eine Eigentumswohnung oder ein Hauskauf im Bereich des Möglichen liegt und nicht mit unsozial hohem Risiko verbunden ist. Schon seit bald 50 Jahren besteht in Art. 47 Abs. 1 vom WEG der Grundsatz, dass der Staat da Privatpersonen unter die Arme greifen kann und meiner Meinung nach sollte: „Der Bund kann den Erwerb von Wohnungs- und Hauseigentum für den eigenen Bedarf natürlicher Personen fördern, die mangels ausreichendem eigenem Vermögen oder ungenügendem Erwerbseinkommen nicht in der Lage sind, das hierfür nötige Eigenkapital zur Verfügung zu stellen.“ Wir könnten uns diesbezüglich etwa an den Niederlanden mit ihrer Ausfallversicherung oder an Frankreich mit seinem Sozialdarlehen ein Vorbild nehmen (Dirc Kalweit, Wohnglück vom 4. Juli 2021). Die Möglichkeiten für einen sozialeren Eigentumserwerb sollten gut durchdacht und auf die helvetische und zugerische Situation angepasst werden. Im frühen 20. Jahrhundert wurde ja das Genossenschaftswesen (Wohngenossenschaft oder Wohnbaugenossenschaft) zu einer Art Alternative zum eigentlichen Wohneigentum für den „kleinen Mann“ und seine Familie vom Typ solider „Arbeiterhaushalt“. Die Ausbreitung des Wohnens in Genossenschaften war und ist wichtig, auch wenn es sich lohnt, auch dort genauer hinzuschauen, wer zu welchen Konditionen wohnt und wohnen bleibt und wer es schwer hat, in eine Genossenschaftswohnung zu kommen. Gleichzeitig hat dieser Pfad auch von einer aktiveren Diskussion um eine breitere Wohneigentumsverteilung weggeführt, die ich gerne wieder aufnehmen würde. Einem Gerechtigkeitsverständnis täte eine solche breitere Eigentums- und Wohlstandsverteilung gut. Und beugt der sozialen Frustration „in der Mitte“ vor. Also bei all jenen, die heute zu gut dastehen für bezahlbaren (und vergünstigten bzw. genossenschaftlichen) Wohnraum zur Miete und zu schlecht dastehen für Wohneigentum. Der Markt allein kann diese Bedürfnisse nicht befriedigen. Daher bietet sich hier die Chance, dass der Staat mit kreativen Lösungen mitwirkt. Mit der Kombination von Förderung des Wohneigentums und Sicherstellung des preisgünstigen Wohnens können wir sicherstellen, dass auch alteingesessene Durchschnittsverdienende und Familien ihren Zuger Wurzeln treu bleiben können und Zug nicht ausschliesslich Mekka für reiche Zugewanderte wird.

Wie erleben Sie das Verhältnis von Kaufen und Mieten? Wünschen Sie sich die eigenen vier Wände? Was kann der Staat Ihrer Meinung nach tun, um die (risikoarmen) Möglichkeiten bezüglich Eigentum für eine breitere Bewohnerschaft zu öffnen?

Gebäude im Fokus – einige Zusatzinfos:

Wer besitzt überhaupt die Wohngebäude in der Schweiz? Fürs Jahr 2020 wissen wir: Über zwei Drittel (67,5%) der Wohngebäude befinden sich im Besitz von Privatpersonen, 14,4% gehörten gemeinschaftlichen Besitzerinnen und Besitzern (einfachen Gesellschaften, Erbengemeinschaften, Gütergemeinschaften oder sogenannten Gemeinderschaften) und immerhin 11,5% gehörten juristischen Personen, wozu auch Genossenschaften zählen. Wenn man jetzt von diesem schweizerischen Durchschnitt auf die Kantone schaut, dann fällt bereits bei dieser Grundunterscheidung auf, dass der Kanton Zug mit 53,8% zu den Kantonen mit den tiefsten Anteilen an Wohngebäuden im Besitz von Privatpersonen zählt (nur in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft und Basel-Stadt war der Anteil noch tiefer; BFS 2022).

4. Ob mit oder ohne Kirchensteuern: zum Gemeinwohl beitragen!
Die Kirchensteuer hat einen schweren Stand. Denn eine zunehmende Zahl an Menschen, die aus der Kirche austreten, schaffen für die Kirchen finanziell schwierige Tatsachen. Im Kanton Zug führt die Statistik fürs Jahr 2020 ungefähr einen Drittel der Bevölkerung als konfessionslos (Fachstelle Kanton Zug: Konfessionen 2020). Auch in der Stadt Zug nimmt der Anteil der konfessionslosen Bevölkerung seit den 1970er Jahren zu (Fachstelle Kanton Zug: Konfessionen 1970-2000). Die Befreiung von der Kirchensteuer wird dabei nicht selten als Motiv für den Austritt aus der Kirche genannt (Katholisches Medienzentrum vom 19. November 2020). Auch politisch ist die Kirchensteuer unter Druck, weil sich Unternehmen als juristische Personen in vielen Kantonen nicht davon befreien können (SSK 2022). Vergessen geht aber oft: Die Kirchensteuer bezahlt nicht nur den Pfarrer (oder die Pfarrerin), die Kirchenbücher, Taufe, Hochzeiten, Beerdigungen und die Seelsorge. Sie ist darüber hinaus auch ein oft unterschätzter Beitrag zum Gemeinwohl. Gewisse Teile der Einkünfte werden nämlich in soziale Institutionen, in Jugendarbeit, Gassenarbeit, in niedrigschwellige Beratungsstellen, in die Erwachsenenbildung oder auch in kulturelle Aktivitäten investiert. Von der einfachen Steuer in den Jahren 2019-2022 gingen in der Stadt Zug 7% an katholische Kirchgemeinden (in allen anderen Gemeinden des Kantons Zug waren es etwas mehr, bis zu 10%; Finanzdirektion Kanton Zug 2022). Die katholische Kirche der Stadt Zug setzt sich beispielsweise für Integration und die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit ein (Katholische Kirche Stadt Zug). Diese solidarischen Leistungen entfallen, wenn die Kirchensteuer nicht mehr bezahlt wird. Ich selber bin aus weltanschaulichen Gründen schon länger nicht mehr Mitglied einer Kirche. Meinen gesellschaftlichen Beitrag versuche ich durch mein ehrenamtliches Engagement zu leisten und ich arbeite auch gerne mit Kirchen und kirchennahen Organisationen zusammen. Allerdings halte ich es für grundsätzlich fair, wenn jeder und jede einen kleinen finanziellen Beitrag zum Gemeinwohl tätigen würde, auch als Mensch, der keiner Konfession angehört – oder einer anderen, dort aber keine Steuern und Abgaben entrichtet. Diesbezüglich gab es schon Vorschläge, zum Beispiel für eine Mandatssteuer. Das halte ich aber für problematisch, denn: Steuern sind per Definition zweckungebunden. Der Zweck sollte hier aber relativ klar definiert sein, nämlich die Unterstützung der sozialen Entwicklung der Gemeinde. Deshalb stelle ich die Errichtung eines Gemeinsinn-Fonds als Ergänzung bzw. Alternative zur bisherigen Kirchensteuer zur Diskussion.

Was halten Sie von dieser Idee? Waren Sie sich dem gemeinschaftlichen Beitrag der Kirchensteuer bewusst?

5. Die Mädchen machen Matura – was ist mit den Buben?
Die Maturitätsquote in der Schweiz steigt und steigt. Wo 1980 noch 10,6% der Jugendlichen die gymnasiale Matura erreichten (BFS 2017), sind es im Jahr 2019 mit 22% mehr als doppelt so viele (BFS 2021). Dieser Anstieg hat insbesondere mit dem Aufholen der Mädchen zu tun: 1980 machten nämlich nur 9,1% aller jungen Frauen einen gymnasialen Maturitätsabschluss. 2019 waren es schon rund ein Viertel der Mädchen bzw. jungen Frauen des entsprechenden Jahrgangs, die das Gymi erfolgreich abschliessen konnten! Im Vergleich dazu fällt der geringere Anstieg bei den Jungen bzw. jungen Männern auf: von einer Quote von 12,1% (1980) auf 18% im Jahr 2019 (BFS 2017, BFS 2019). Mit anderen Worten: Die Mädchen bzw. Frauen haben nicht nur aufgeholt, sie haben überholt. Auch im Kanton Zug steigt die Gymnasialquote seit den 1990er Jahren: Die Quote der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten liegt hier nach Abzug der Privatschülerinnen und Privatschüler mit 25,5% (2022) über dem schweizerischen Mittel (Bericht und Antrag des Regierungsrats vom 10. Mai 2022 zur Vorlage Nr. 3174.1 – 16467). Und auch im Zugerland sind die Mädchen bei den Maturandinnen und Maturanden übervertreten. Fürs Schuljahr 2020/21 stellten sie 300 Absolventinnen mehr als die Jungs. Bereits seit 1999 besuchen mehr Mädchen als Knaben die Zuger Gymnasien (BFS 2017). Doch auch bei der Berufsmatura holen die Zuger Frauen rasant auf. Lag der Jahrgangsanteil junger Frauen, die eine Berufsmatura machten, im Jahr 1998 erst bei 3,1%, so sind es im Jahr 2019 rund 17,5%. Damit liegen die Frauen beinahe gleichauf mit den Männern, obwohl bei diesen schon 1998 11,1% des Jahrgangs die Berufsmatura machten. Schliesslich haben die Mädchen bzw. Frauen auch bei der 2008 eingeführten Fachmaturität die Nase vorn (BFS 2017).

Auch wenn wir uns als Gesellschaft freuen können, dass Mädchen und Frauen ihre historische Bildungsbenachteiligung aufholen konnten: Aus einer umfassenden Perspektive auf Bildung und Gleichberechtigung sollten wir aber gleichzeitig sicherstellen, dass dabei die Knaben nicht auf der Strecke bleiben. Jungen schneiden schulisch oft etwas schlechter ab als Mädchen, auch die Abbruchquote auf Sek-II-Level ist bei ihnen höher (Avenir Suisse 2019). Am Mangel männlicher Vorbilder auf höheren Schulstufen kann es nicht liegen: Im Kanton Zug gibt es am Gymnasium jedenfalls mehr männliche Lehrpersonen als weibliche (Fachstelle Statistik Kanton Zug 2020/21). Weshalb also diese ungleiche Vertretung der Geschlechter? Während manche Stimmen von einer einseitigen Mädchenförderung sprechen oder die frühere Entwicklung von Mädchen betonen, gibt es auch die Ansicht, wonach das höhere weibliche Lerninteresse mit einer egalitäreren Geschlechtervorstellung seitens der Mädchen zusammenhänge (Elisabeth Grünewald-Huber et al. 2011). Aus welchen Gründen auch immer es den Mädchen heute leichter fällt als den Buben, das Gymnasium zu absolvieren: Stadtzuger Schulen sollten Ideen und Massnahmen prüfen, damit das Gymnasium auch für junge Männer wieder attraktiver wird. Wir müssen uns deshalb intensiv damit auseinandersetzen, woran es liegt, dass Männer weniger häufig die Maturität erreichen. Dabei sollten drei Ebenen einbezogen werden: die familiär-erzieherische, die schulisch-institutionelle und die gesellschaftliche.

Gleichzeitig sind Mädchen und Frauen bei den technischen und naturwissenschaftlichen Berufen noch immer untervertreten. So lag der Anteil an Frauen, die 2019 ihre berufliche Grundbildung im Ingenieurwesen und Baugewerbe vornahmen, bei nur 12,8%. An universitären Hochschulen sind in entsprechenden Studiengängen immerhin rund 31% Frauen zu finden (BFS 2021) – womit frau immer noch unterrepräsentiert ist. Generell sollten wir beim allgemeinen Trend der Tertiarisierung auch die Stärken der dualen Berufsbildung nicht vergessen – nach wie vor ein Erfolgsmodell für Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Fazit: Durch geschlechtergerechte Bildungsmöglichkeiten und eine breite Förderung verschiedener Interessen – in der tertiären ebenso wie in der Berufsbildung – leisten wir einen Beitrag zur Gleichstellung und gegen den Fachkräftemangel. Die Gleichstellungspolitik kann den Fokus deshalb nicht nur auf die Frauen legen, sondern muss eine holistische Perspektive einnehmen. Unser Ziel könnte dabei sein: eine Angleichung des Männeranteils an den Gymnasien und balancierte Geschlechterquoten sowohl in den Sprachen als auch den MINT-Fächern, konkret etwa bis 2035.

Sehen Sie an den Gymis eine Benachteiligung der jungen Männer? Woran liegt Ihrer Meinung nach der stärkere Maturitätstrend bei den weiblichen Jugendlichen? Müsste das Interesse der Frauen für technische Berufen gefördert werden? Wie bewerten Sie unser (duales Berufs-)Bildungssystem? Und wichtig: Welche Ideen hätten Sie, um eine gleichmässigere Vertretung voranzubringen?

6. Ob Öko-Heizung oder digitale Wirtschaft: der Umschwung braucht umsichtige Übergänge
Während die Langsamkeit des demokratischen Systems heute oft auf Ungeduld stösst, birgt sie auch eine gewisse Sicherheit. Nachhaltige Politik braucht nämlich keine Überraschungen und Umstürze – es sei denn, es kommt zu plötzlichen Krisen, die rasches Umdenken erfordern. Aber auch dann gilt: Ein Umschwung braucht einen Übergang, der umsichtig gestaltet werden muss. Was bringt mich zu diesem Thema? Es sind gleich mehrere Anlässe. Die weltweite Umstellung der Landwirtschaft auf eine ökologischere Produktion ist aus Nachhaltigkeitsgründen (Boden, Wasser, Klima, Tierwohl, langfristige Ernährungssicherung) wichtig. Schweizweit liegt der Anteil Biobetriebe heute bei 16,8 Prozent, im Kanton Zug bei 19 Prozent (Bio Suisse 2021). Seit 2011 sind in der Schweiz etwa 1‘700 Betriebe auf Bio umgestiegen. Das funktioniert, weil die Umstellung meist Schritt für Schritt, mit staatlicher Unterstützung und sorgfältig vor sich geht – halt eben etwas langsam, dafür aber mit den richtigen Rahmenbedingungen. Anders war es im Fall von Sri Lanka. Dort geschah die von der Politik verordnete Umstellung von einer Pestizid- und chemieintensiven zu einer rein ökologischen Landwirtschaft ohne Pestizide und Dünger von einem Tag auf den anderen überstürzt und zu wenig durchdacht. Die Umsetzung war mangelhaft, die Gesellschaft nicht bereit für eine solche Revolution (Anand Chandrasekhar, swissinfo.ch vom 17. April 2022). Weder Mittel noch Wissen für eine erfolgreiche Einrichtung von Biolandbau standen zur Verfügung, was schwerwiegende wirtschaftliche, soziale und politische Folgen hatte: Mittellose Bauern und Bäuerinnen kommen durch geringere Ernteeinträge in Existenznöte, es entstehen Engpässe in der Lebensmittelproduktion und die Nahrungsmittel werden teurer. Das Bio-Experiment trägt dabei nicht die volle Verantwortung für die schwierige Lage im Land (Julia Schürer, agrarheute vom 16. Juli 2022). Die Unzufriedenheit mit der Regierung war schon vor dieser Entscheidung gross (Susanne Aigner, heise online vom 15. Juli 2022). Umso mehr hätte es Zeit gebraucht, Übergangslösungen, Phasen der Anpassung, gerade auch weil die dortige Wirtschaft von den Folgen der Corona-Krise gebeutelt war. Aber stattdessen geht Sri Lanka durch die schlimmste wirtschaftliche und politische Krise seiner jüngeren Geschichte. Das zeigt: Ohne Übergang droht Untergang. Nicht der Biolandbau an sich ist hier das Problem, sondern mangelhaftes politisches Management. Zudem spielte beim überhasteten Regierungsentscheid internationaler Druck eine wichtige Rolle, sei es vonseiten der KonkurrentInnen oder wegen der globalen Nachfrage nach „Bio“.

Druck, Hast und Änderungshektik erleben wir auch hierzulande. Das zeigt sich etwa in der politischen Vorstoss-Flut. Dazu trägt bei, dass Informationen auf Knopfdruck zugänglich und dass der Journalismus, insbesondere Online und Social Media, immer ungeduldiger wird. Die Politik beugt sich der Kurzlebigkeit. Eigentlich bräuchten wir aber genau das Gegenteil: Geduld, Bedacht, Umsicht. In allen Bereichen. Ein pressendes Thema ist momentan die Energie: Drängen tut hier ganz objektiv die Klimakrise und jüngst auch der Krieg in der Ukraine. Die europäischen Regierungen tagen und twittern dazu im Krisenmodus, die Medien feuern die Debatte an, viele politisch Tätige schalten ebenfalls auf Aktionismus. Absolut unbestritten: Es braucht dringend Veränderungen, auch lokal bei uns. Denn 80% der Stadtzuger Heizungen basieren noch immer auf fossiler Energie. Letztere stammt grösstenteils aus dem Ausland: 2020 war die Schweiz energietechnisch zu rund 75% auf Importe angewiesen. Diese bestanden aus Erdöl und Erdgas, Kohle, nuklearen Brennstoffelementen und im Winter auch aus Elektrizität (BFS 2021). Fast die Hälfte unseres Gases beispielsweise kommt aus Russland, weitere merkliche Anteile aus Norwegen und der EU und kleinere Anteile aus weiteren Ländern (Verband der Schweiz. Gasindustrie). Beim Erdöl zählen hauptsächlich Nigeria, die USA und Libyen zu unseren Versorgern (Matthias Heim, SRF vom 20. Oktober 2021). Von dieser Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen einerseits und vom Ausland andererseits sollten wir uns zu lösen versuchen, aber eben nicht überstürzt. Heimische und nachhaltige Lösungen für erneuerbare Energie sind zwar dringend angezeigt, fossile Heizungen können aber dennoch nicht über Nacht flächendeckend ausgewechselt werden. Die Menschen brauchen Übergangs- und Anpassungszeit, in der etwa Wärme-Luft-Pumpen, Erdsonden und die Solarenergie gefördert werden und allmählich fossile Energie ersetzen. Damit diese (Heiz-)Energiewende wirkungsvoll stattfinden kann, muss sie auch qualitätsorientiert durch eine gute Planung, Begleitung und Kontrolle unterstützt werden. Das wird nicht einfach, schliesslich kann der Staat keine Subventionen nach dem Giesskannenprinzip verteilen. Gleichzeitig dürfen wir Eigenheimbesitzerinnen und -besitzer nicht überfordern, indem wir ihnen teure Investitionen aufbürden. Und ausserdem muss auch die Produktion von nachhaltigen Energieträgern im Ausland nach ihrer Öko- und Sozialbilanz überprüft werden. Auch das Thema der Energieeffizienz gehört gerade beim Heizen genauso dazu. Effizientes Heizen tut nämlich nicht nur der Erreichung unserer Klimaziele gut, sondern auch dem Portemonnaie (Tipps dafür finden Sie hier).

Diesbezüglich stehen beispielsweise Solarpanels aktuell wieder einmal im Fokus – Stichwort: Xinjiang. Klimapolitik kann schliesslich nicht nur lokal und ad hoc gedacht werden. Sie ist globale und soziale Verantwortung. Gleichzeitig freue ich mich, dass die schweizerische „Klima- und Energieministerin“ Simonetta Sommaruga die Solarenergie nun klar fördern will und auch der Bundesverwaltung Stromsparen auferlegt, falls die Energieversorgung im Winter knapp wird. Wie überall gilt nämlich sonst, dass die „Kleinen“ von Massnahmen, die alle treffen, mehr betroffen sind!

Umsichtig und gut geplant – oder geht Ihnen das zu langsam? Finden Sie, wir müssten mehr riskieren?

7. Demokratie beinhaltet den Mut zur Vielfalt – und wahrt die Menschenwürde
In einer Demokratie steht das Volk im Mittelpunkt. Und weil „das“ Volk – mindestens in einer offenen und freien Gesellschaft – per se vielfältig ist, ist Vielfalt auch das prägende Element des demokratischen Systems. Verschiedene Menschen und vielfältige Meinungen sind das Herzstück der Demokratie. In der Praxis gibt es aber bestimmte Präferenzen und auch Tendenzen. Der schweizerischen Bevölkerung beispielsweise wird, bei aller Liebe zu lokalen und regionalen Eigenheiten (Stolz auf die eigene Gemeinde, Kantönligeist etc.), von klein auf einen Hang zum Einmitten vermittelt. Man mag´s gern gemütlich und übersichtlich. Harmonie und Kompromiss gelten als Nationaltugenden, mit denen man – in einem kleinen Land mit Berg, Tal und Fläche, mit mehreren Landessprachen und Konfessionen – es doch historisch weit gebracht habe. Stimmt auch! Etwas irrig ist allerdings die Annahme, ein Miteinander statt Nebeneinander ganz unterschiedlicher Meinungen sei etwas, was doch lieber zu vermeiden oder jedenfalls abzumildern sei. Weil es sonst Konflikte geben könnte. Und da liegt der Hase (auch der falsche, für die Vegetarierinnen unter den Lesern) im Pfeffer: Streitähnliche Konflikte entstehen oder eskalieren nämlich dann, wenn es an sogenannter Ambiguitätstoleranz fehlt: am Vermögen, Meinungs- und Erfahrungsdifferenzen auszuhalten, ohne sich angegriffen und in Frage gestellt zu fühlen. Ohne darin a priori eine Gefahr für ein gedeihliches Miteinander zu wittern. Tatsächlich erleben wir seit einiger Zeit einen gewissen Trend zur Polarisierung, der auch durch bestimmte Vermarktungs- und Aufmerksamkeitslogiken „getriggert“ wird. Die eigene Meinung wird zum Non-Plus-Ultra. Dabei liegen der absolute Wahrheitsanspruch und die absolute Leugnung anderer Evidenzen nahe beieinander.

Statt dass Unterschiedliche zusammenkommen, findet über die sozialen Medien eine Homogenisierung statt: In Chat- und Facebook-Gruppen treffen sich Gleich- oder Ähnlich-Gesinnte. Die Betonung der eigenen „Identität“ hat hüben wie drüben Konjunktur und scheint gemeinschaftsstiftend. Und die Algorithmen der Dating-Plattformen ordnen einander brav Pärchen mit ähnlichen Interessen und Äusserlichkeiten zu und listen allzu Eckiges und Kantiges gar nicht erst auf. Was im Zwischenmenschlichen spielt, sehen wir auch in der politischen Arena. Das ist schade. Die schweizerische Geschichte könnte uns doch lehren, dass eine (Eid-)Genossenschaft und eine Demokratie auch recht weitgehende Unterschiede aushalten können muss (und kann). Und so bin ich überzeugt: Eine tolerante Demokratie kann auch Corona-Gegnerinnen und Freiheitstrychler aushalten. Und zwar auch in Form von politischen Organisationen, die zu Wahlen antreten. Und ich finde es undemokratisch, wenn der „Marsch fürs Läbe“ der Abtreibungsgegnerinnen und -gegner gestört oder das Recht für solche Märsche in Frage gestellt wird. Auf der anderen Seite verdienen auch jene Jungen Gehör, die sich als „queer, links und hässig“ bezeichnen und den Staat mit grosser Skepsis betrachten. Toleranz für Andersdenkende ist die Hefe, die Demokratie gedeihen lässt. In einer Regierung vom Volk fürs Volk gehören alle dazu – nicht nur die Mehrheit. Nicht nur die, die gerade den Zeitgeist am besten treffen. Und auch nicht nur die, die einfach die überzeugendste Rhetorik haben. Meinungsfreiheit soll also weiterhin Trumpf sein.

Aber Freiheit ist nicht grenzenlos, denn sonst ist sie keine Freiheit mehr. Die Grenze verläuft bei der Würde. Wer Meinungsfreiheit dazu benutzt, andere Menschen und deren Würde absichtlich zu verletzen oder das ganz eindeutig in Kauf nimmt, der- oder diejenige missbraucht die Meinungsfreiheit. Schon bei Immanuel Kant lernen wir: Die eigene Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Und da hat dann auch die Ambiguitätstoleranz ein Ende. Triefende Frauenfeindlichkeit zum Beispiel, wie sie etwa im systematischen Verunglimpfen und Lächerlich-Machen von Frauen, die sich politisch exponieren, zum Ausdruck kommt, ist kein Ausdruck von Meinungsfreiheit. Sondern geschmacklos, übel und die Menschenwürde verletzend. Erinnern Sie sich noch an René Kuhn, damals SVP Luzern, der vor einigen Jahren linke Frauen im Wesentlichen als unansehnliche Vogelscheuchen bezeichnete (Schweizer Illustrierte vom 16 August 2009)? Wenn man sich anschaut, was heute manche junge Politikerinnen so einstecken müssen, klingt das schon fast zahm. Nicht alle müssen das „Gendern“ bei der Sprache toll finden. Und nicht alle können die moderne Geschlechterauffassung nachvollziehen. Dafür müssen wir Verständnis haben – aber eben: mit Grenzen! Und diese Grenze bildet die Menschenwürde. Es gibt auch bedenkliche Beispiele für Verstösse gegen die Menschenwürde, die von linker und scheinbar progressiver Seite kommen. In der Diskussion der Masseneinwanderungsinitiative im Jahr 2014 fanden es die JUSO Schweiz originell, beim SVP-Exponenten und Initiativ-Vertreter Hans Fehr „auf den Mann“ zu spielen: „Lieber Hans Fehr, wenn dein Arsch im Zug ein ganzes Abteil braucht, sind nicht die Ausländer Schuld daran“ (Facebook JUSO Schweiz vom 21. Januar 2014). Ein solches Bodyshaming ist unter der Gürtellinie. Und wie beim obigen Beispiel gilt: So geht man oder frau nicht mit politisch Andersdenken um.

Wir verdienen etwas Besseres als eine Politik, die einen solchen Umgang miteinander (re-)produziert. Wir können besser als eine Politik, die einen solchen Umgang salonfähig macht und sogar noch feiert. Und für diese bessere Politik brauchen wir mehr Platz für offene Diskussionen. Aber diese müssen faktenbasiert sein und auf einem gegenseitigen Grundrespekt beruhen. Dies stärkt unsere Freiheits- und Menschenrechte, statt sie zu schwächen. Und es stärkt auch unsere Demokratie: Wir gewinnen dadurch an Resilienz und werden krisentauglicher, was wir in Zeiten wie diesen gut gebrauchen können!

Stand: Nov. 2022